Kurschatten220Sein Ruf ist legendär, er hat Einsamen den Aufenthalt versüßt, er ist der Grund für Witze, Dichter haben über ihn geschrieben und Künstler ihn verewigt, er hat Ehen gestiftet, aber auch zerstört, alle reden über ihn, doch kaum einer gibt zu, ihn gekannt zu haben – die Rede ist vom „Kurschatten“.

Zur Ausstellung: Zeitgenössische Bilder und Berichte laden zu einer unterhaltsamen „Promenade“ durch die Geschichte der Kurbekanntschaften. Der Spaziergang beginnt im Mittelalter, in einer Zeit des ungezügelten Lebens in den Badestuben. Gelegenheiten zu amourösen Abenteuern ergaben sich rasch. „Ettliche Weiber ziehen auch gern in die Sauerbrunnen und warmen Bäder, weil ihre Männer zu alt und kalt sind“, heißt es in einem Bericht. Kirche und Obrigkeit widersetzten sich zunehmend dieser Unmoral.

Ab Ende des 16. Jahrhundert zog es viele Adlige und wohlhabende Bürger zu den neu entdeckten Heilquellen mit ihrer Trinkkuren, nicht weniger wichtig waren aber auch das gesellige Leben und Vergnügen. Die vormals in den Wildbädern ausgelebte Sexualität galt nun als unschicklich, dafür die Liebschaft als ein mit Galanterie betriebenes Gesellschaftsspiel. Die Kurgesellschaft tolerierte die Affären, soweit darüber die Beteiligten Diskretion bewahrten, die Standesgrenzen beachteten und damit keinen Anlass zum gesellschaftlichen Skandal gaben.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Kurorte zunehmend auch für den Bürger zu geschätzten Stätten der Begegnung. Wegen seiner strengen Moral- und Tugendvorstellungen war dem „Biedermeier“ die Liebelei im Kurort verpönt und wurde als kaum entschuldbare „Tat in geistiger Umnachtung“ abgestempelt.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stiegen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Besucherzahlen in den Kurorten stark an. „Es gibt zahllose Menschen, die lediglich verreisen, um interessante Badebekanntschaften anzuknüpfen und denen diese erst die Würze des Kuraufenthaltes bilden“, heißt es in einem Anstandsbuch um 1900. Kurorte wurden zu Kontaktbörsen. Zu diesem Image trug auch die Klatsch- und Skandalpresse bei. Sie verbreitete Sensationen aus dem gesellschaftlichen Leben in den Bädern, darunter vornehmlich solche sexueller Natur. Romane und Groschenhefte, in denen der Held oder die Heldin ein amouröses Abenteuer im Kurort erlebten, schürten die Hoffnung auf Abwechslung.

Nach dem Ersten Weltkrieg stellten Kriegsversehrte, Kriegsfolgengeschädigte, „kleine Angestellte und Arbeiter“ die Mehrheit der Besucher, bei denen die Rehabilitation im Vordergrund stand. Die Kurorte präsentierten sich als seriöse Treffpunkte, an denen bei einem kultivierten Unterhaltungsprogramm der Alleinstehende rasch einen Partner finden konnte. Nach 1933 präsentierten sich die Bäder als moderne kurmedizinische Zentren und für Kurzaufenthalte im Rahmen der KdF (Kraft durch Freude)- Reisen. Geschlechterbeziehung spielte seit den 1920er Jahren in der offiziellen Werbung keine Rolle mehr, denn die neu eröffneten Tanzcafés, Nachtlokale und Filmtheater sowie die Massenveranstaltungen der NS- Diktatur boten ausreichend Möglichkeiten der Partnersuche. Eigens hierzu in die Badeorte zu reisen, war nun nicht mehr nötig. Die Kurorte hatten damit ihre jahrhundertealte Funktion als Kontaktbörsen eingebüßt.

Mit dem Wiederaufleben des Kurbetriebes nach dem Zweiten Weltkrieg haftete den Kurorten das Flair einer friedlichen Oase an, in denen „Sonntagsstimmung“ herrschte. Die Kurbekanntschaft war in erster Linie ein gleichgesinnter Gesprächspartner, denn sexuelle Beziehungen waren – der christlich-konservativ-bürgerlichen Sexualauffassung der Ära Adenauer entsprechend – weitgehend tabu. Die „1968“ spülten die bisher geltenden konservativen Moralvorstellungen hinweg. Die Voraussetzungen für einen unverbindlichen Seitensprung erschienen im Kurort während eines zeitlich befristeten Aufenthaltes besonders günstig. Damit schlug die Geburtsstunde des so genannten „Kurschattens“, der „Liebe auf Zeit“.

„Es gefällt uns sehr gut hier. Kurschatten haben wir auch schon gefunden. Alles andere ist auch sehr schön …“ (Text einer Ansichtskarte aus Bad Schwalbach, 1977). Diese Beziehung erregte öffentliche Aufmerksamkeit. In Ratgebern, Fernsehsendungen und Fachzeitschriften diskutierten gerade in den achtziger und neunziger Jahren Ärzte, Sexualtherapeuten und Vertreter der Kurorte intensiv und offen über die Auswirkungen solcher Beziehungen, wenn die Abenteuer partnerschaftliche Probleme auslösten oder die Patienten den inneren Konflikt nicht alleine bewältigten. Eingestehen musste man aber, dass eine Beziehung mit dem „Schatten“ positive Auswirkungen haben konnte. „Ein Kurschatten hilft, Gefühle aufzufrischen, Erinnerungen wachzurufen, Begehren zu wecken.“ So geschrieben, ist der Kurschatten der „Gehilfe des Badearztes“.

Quelle: Katalog zur Ausstellung. Text und Redaktion: Dr. Martina Bleymehl-Eiler. Stiftung Bad Schwalbacher Kur-Stadt-Apothekenmuseum 2007.

Die Ausstellung wurde vom 05. April 2009 bis 14. Juni 2009 im bade~museum gezeigt.