Seebaederdienst

Der Weg zur Insel Norderney führt über Norddeich, wo während der Badesaison fast stündlich die Fähren der AG Norden-Frisia ablegen und nach einstündiger Fahrt am Anleger auf Norderney festmachen. Norddeich wird erreicht mit der Bahn, die seit 1892 auf der Mole endet, und mit dem PKW, der mit der Fähre nach Norderney übergesetzt werden kann bzw. in Norddeich geparkt bleibt. Schon vor 210 Jahren war die Schifffahrt ab Norddeich die „geschwindeste Weise“, um zur Insel zu kommen, wozu bis 1872 kleine Segelboote dienten. Erst ab diesem Jahr verkehrte mit der „Stadt Norden“ ein Dampfschiff, welches eine größere Zahl an Passagieren aufnehmen konnte und die Überfahrt bequemer machte. „Wasserscheue Naturen“ erreichten die Insel mit der Kutsche, mit der in den Jahren 1815 bis 1875 – beschränkt auf die Badesaison – zur Ebbezeit das Watt überquert wurde. Von Norden über Hilgenriedersiel dauerte die Fahrt bis zum Inseldorf etwa drei bis vier Stunden.

Die Mehrzahl der Norderneyer Badegäste reiste mit der Droschke bis Norddeich, wobei die „directe Schnell-Droschke“ 1854 von Bremen bis nach Norden etwa 16 Stunden benötigte, von Hamburg etwa 29 Stunden. Eine Fahrt, die auf nur streckenweise gepflasterten Straßen und ausgefahrenen Sandwegen keinerlei Bequemlichkeit versprach und den Fahrgästen viel Ausdauer abverlangte. Nachdem auch zunehmend Gäste aus den östlichen Teilen des Königreiches Hannover und dem angrenzenden Preußen das Nordseebad Norderney für sich entdeckten, setzten verschiedene Reeder ab Stade, Hamburg und Bremen Dampfschiffe ein, die während der Badesaison Norderney direkt oder über Helgoland und Wangerooge anliefen. 1835 gab es die erste fahrplanmäßige Schiffsverbindung ab den Hansestädten mit den Raddampfern „Elbe“, „Patriot“ und Roland“, ab 1840 verkehrte das eiserne Dampfschiff „Telegraph“ im Liniendienst ab Bremen, ebenso fuhren Dampfschiffe ab Emden und Leer. Die Zahl der Passagiere nahm mit der Eröffnung der Bahnlinien Hannover-Bremen (1847) und Hannover-Emden (1856) stetig zu, wogegen sich die Schifffahrt ab Hamburg nicht mehr lohnte, obwohl bereits ab 1846 Züge von Berlin bis Hamburg fuhren. Verhandlungen zwischen der Badeverwaltung Norderney mit der 1847 gegründeten Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt Aktiengesellschaft (Hapag) blieben über viele Jahre erfolglos.

1859 eröffnete der Norddeutsche Lloyd mit dem Dampfer „Roland“ den „Seebäderdienst“ von Geestemünde (Bremerhaven) nach Norderney, ab 1880 mit den Dampfern „Forelle“, „Hecht“ und „Lachs“, ab 1894 mit den Salonschnelldampfern „Najade“ und seit 1899 auch mit der „Nixe“. 1885 setzte Blohm & Voss auf eigene Rechnung das Schiff „Freia“ für die Fahrt von Hamburg nach Norderney ein, vier Jahre später angekauft von Ballin’s Dampfschiff Rhederei. Für den Norddeutschen Lloyd stellte die 1889 von Albert Ballin (1857-1918) gegründete Hamburger Reederei eine ernsthafte Konkurrenz dar, die mit den Seitenraddampfern „Cobra“ (1890) und dem Postschnelldampfer „Ariadne“ die Linienfahrt nach Helgoland, Norderney und den Nordfriesischen Inseln bediente. 1896 erfolgte die Indienststellung der „Prinzessin Heinrich“, ein Jahr später der „Silvana“ – welche am Norderneyer Anleger festmachten. Seit 1897 firmierte die Reederei unter dem Namen Nordsee-Linie Dampfschiffs GmbH, die 1905 an die Hapag (seit 1893 auch als Hamburg-Amerika-Linie bezeichnet) verkauft wurde, dessen Generaldirektor Albert Ballin seit 1899 war.

Ab dem Sommer 1906 setzte die Hapag den von der „Vulcan“-Werft in Stettin gebauten Turbinendampfer „Kaiser“ ein, der an Deck bis zu 2 000 Passagiere befördern konnte. Etwa 98 Meter lang und fast 12 Meter breit, ausgestattet mit zwei Curtiss-AEG-Dampfturbinen mit einer Leistung von 5 400 PS, erreichte das Schiff eine Geschwindigkeit von 20 Knoten. Die Fahrzeit von den St. Pauli Landungsbrücken bis Helgoland dauerte etwa viereinhalb Stunden, von dort nach Norderney weitere drei Stunden. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden die Seebäder geschlossen. Das Flaggschiff „Kaiser“ wurde zum Hilfsstreuminendampfer und Vorpostenboot umgerüstet, dabei der hintere Schornstein entfernt, das Schiff 1919 von Großbritannien beschlagnahmt, 1921 von der Hapag zurückgekauft und umgebaut und dabei auch die Leistung verringert. Bis 1934 fuhr die „Kaiser“ mit der 1926 neu erbauten „Cobra“ im Seebäderdienst von Hamburg nach Helgoland, Amrum, Föhr und Sylt, um dann von der „Königin Luise“ (II) abgelöst zu werden. Über Helgoland bestanden Anschlüsse mit Schiffen der AG „Ems“ und des Norddeutschen Lloyd nach Borkum, Norderney und Bremerhaven. Noch bis 1939 im „Seedienst Ostpreußen“ eingesetzt, wurde der einst bekannteste deutsche Seebäderdampfer „Kaiser“ schließlich 1954 im polnischen Gdynia (Gdingen) verschrottet.

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges fuhren die Hapag-Bäderschiffe auf den Hauptstrecken Hamburg-Cuxhaven-Helgoland-Sylt sowie von Hamburg über Cuxhaven und Helgoland nach Norderney. Nach dem Krieg gab die Hapag die Fahrt nach Norderney auf, die nun allein vom Norddeutschen Lloyd bedient wurde, der dafür auf seine Fahrten von Helgoland zu den Nordfriesischen Inseln verzichtete.

Als schnellstes Schiff lief ab Sommer 1927 der Seebäderdampfer „Roland“ den Inselhafen an, mit dem der Norddeutsche Lloyd den aus den Vorkriegsjahren stammenden Seitenraddampfer „Najade“ ersetzte. Das Schiff lief 18 Knoten und konnte 2 400 Passagiere aufnehmen. Von der Lloydhalle in Bremerhaven bis Helgoland (Reede) benötigte der Dampfer drei Stunden, ebenso für die Strecke von Helgoland bis Norderney.

Nicht nur auf Schnelligkeit, sondern vielmehr auf bequemes Reisen setzten die Reedereien beim Seebäderdienst. Im Fahrplan 1930 empfahl der Norddeutsche Lloyd nicht nur die herausragende Gastronomie an Bord: „Den Fahrgästen stehen zwei große künstlerisch ausgestattete Speisesäle zur Verfügung, in denen insgesamt etwa 200 Personen gleichzeitig ihre Mahlzeiten einnehmen können. Auf dem Vorschiff des „Roland“ ist ein geräumiges Verandakaffee eingerichtet, in dem etwa 75 Personen Platz finden können. Von hier aus bietet sich dem Reisenden ein prächtiger Rundblick über die grünblaue Flut des Meeres, die der schlanke weiße Leib des schnittigen Schiffes durcheilt. Aber auch bei unfreundlichem und kühlem Wetter brauchen die Passagiere nicht auf den immer reizvollen und fesselnden Blick auf das Meer mit seinen wechselnden Bildern auf die vorüberziehenden Schiffe, die wegweisenden Leuchttürme und Seezeichen und die nach dem Passieren des Rotesand-Leuchtturmes in der Ferne entschwindenden Küste des Festlandes zu verzichten, da das 65 m lange Promenadendeck des „Roland“, nach Art der großen Ozeandampfe, durch breite Schiebefenster gegen Wind und Wetter geschützt ist und so zu jeder Zeit einen angenehmen Aufenthalt vermittelt. Der hintere Teil des Promenadendecks, eine große breite Fläche von Bordwand zu Bordwand, dient dem tanzlustigen Publikum unterwegs als Tanzdiele. Wenn die Klänge der Musik über das leise rauschende Meer erschallen, und am Abend überall die bunten Lichter aufleuchten, dann wird die Fahrt nach oder von Helgoland und Norderney gewiß für viele Seefahrer zu einem unvergesslichen Erlebnis.“

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führte zur Schließung der Seebäder und bedeutete damit zwangsläufig auch das Ende des Seebäderdienstes. Viele Schiffe, die einst der Stolz der „weißen Flotte“ auf der Nordsee waren, dienten als Minenleger und Vorpostenschiffe und wurden zumeist bei feindlichen Angriffen versenkt. Der Norddeutsche Lloyd hatte nach Kriegsende fast seine gesamte Flotte verloren. Norderney, während des Zweiten Weltkrieges kaum zerstört und seit 1946 „Leave Center“ der britischen Rheinarmee, konnte bereits in der Saison 1946 seine Badestrände auch für deutsche Gäste öffnen. Zur Saison 1946 setzte der Bremer Reeder Christoph Kleemeyer, Inhaber der Reederei „Brema“, das Motorschiff „Hindina“ nach Norderney ein, ab 1948 der Norddeutsche Lloyd die „Wangerooge“, ein ausgedientes Minensuchboot der ehemaligen Kriegsmarine. Gegenüber der Vorkriegszeit hatte der Seebäderdienst von Bremen bzw. Bremerhaven nach Norderney jedoch an Bedeutung verloren. Nach mehr als 100 Jahren endete die „schönste und bequemste Verbindung“ zur Insel, der „interessanteste Weg nach Norderney über Helgoland mit eleganten Salonschnelldampfern des Norddeutschen Lloyd“ war damit eingestellt.

Zusammengestellt von Manfred Bätje, Stadtarchiv Norderney. Quellen und Literatur: Sammlung Seebäderdienst im Stadtarchiv Norderney; Norderneyer. Badezeitung 1868 ff.; Günter Benja: 150 Jahre Bremer Seebädertörns 1837-1987, Bremen 1989; Claus Rothe: Deutsche Seebäderschiffe 1830 bis 1839, Solingen 1989

Die Ausstellung wurde vom 6. November 2010 bis 3. April 2011 im bade~museum gezeigt.