Abgestempelt – Judenfeindliche Postkarten
28.09.-26.11.2023
Was heute SMS und MMS über das Handy, Tweets auf Twitter, Nachrichten auf WhatsApp oder Messages auf Instagram sind, waren in der analogen Welt Ende des 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Bildpostkarten. Mit ihnen konnte man unkompliziert und günstiger als mit Briefen Nachrichten und Grüße versenden. Wie jedes andere Medium, wurden sie jedoch nicht nur dazu genutzt, den Urlaubsort vorzustellen oder Festtagsgrüße auszutauschen, sondern dienten häufig auch dazu, mehr oder weniger offen politische Botschaften, ethnische Vorurteile und rassistische Stereotype zu verbreiten.
Am Beispiel antisemitischer Postkarten wird in der Ausstellung „abgestempelt“ deutlich, dass scheinbar harmlos daherkommende Alltagsstereotype häufig nicht nur die Grenzen des „guten Geschmacks“ übertreten, sondern auch in blanken Hass oder übelste Diffamierung ausarten können und somit alles andere als harmlos sind.
Klar wird auch, dass sich Antisemitismus öffentlich nicht erst im Nationalsozialismus manifestierte. Vielmehr war er schon im 19. Jahrhundert ein verbreitetes Phänomen, alltäglich und geläufig – sonst hätte man nicht mit antijüdischen Motiven auf Postkarten Werbung betreiben können.
Bemerkenswert sind dabei vor allem die gegenläufigen Bilder über „den“ Juden, der zugleich als „Hausierer“ und „Bonze“ oder als „kapitalistischer Ausbeuter“ und „kommunistischer Weltverschwörer“ dargestellt wurde. Juden konnten den Vorurteilen der Antisemiten nicht entkommen, gleichgültig wer sie waren und was sie taten. Das galt nicht nur für Deutschland: Ähnliche Postkarten gab es auch in anderen Ländern, z. B. Frankreich, Polen, Russland und den USA.
Judenfeindliche Postkarten
Über die Jahre hat der Berliner Sammler Wolfgang Haney fast 1.000 antisemitische Postkarten zusammengetragen, von denen eine Auswahl in der Wanderausstellung „abgestempelt“ dokumentiert ist. Die meisten stammen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Sie sind als historische Quellen zu verstehen, die als Gebrauchsgegenstände einen unmittelbaren Blick in die Welt des Alltags, geprägt durch Vorurteile und Diskriminierungen, ermöglichen. Die Ausstellung verfolgt jedoch nicht nur das Ziel, etwas Vergangenes zu präsentieren. Vielmehr will sie Besucherinnen und Besucher über Motive und Bildsprachen aufklären, damit sie lernen, sowohl Antisemitismus als auch andere Formen diskriminierender Etikettierungen in der Gegenwart zu erkennen und zu deuten; denn nur wenn man in der Lage ist, Codes zu dechiffrieren und Symbole zu erschließen, kann man sich dagegen wehren. Wer die Ausstellung besucht hat, wird die im privaten, halböffentlichen und öffentlichen Raum geführten Diskurse z. B. über „die“ Ausländer oder „den“ Islam reflektierter wahrnehmen können.